Susan Brownmillers "Gegen unseren Willen"
Der Klassiker der Frauenbewegung über Vergewaltigung prägt unsere Sichtweisen bis heute. Leider.
Es ist sicher ein großes Verdienst der Frauenbewegung, Themen wie Vergewaltigung, sexueller Missbrauch etc. aus dem Dunkel der Verdrängung geholt zu haben – nur ist leider das Framing oft so ideologisch geprägt, dass es das Verdienstvolle regelrecht unterhöhlt. Und das hängt uns immer noch sehr in der Wäsche. Das Narrativ „Alle Männer sind (potentielle) Vergewaltiger“, das uns in jüngster Zeit geballt um die Ohren geflogen ist, geht auf Susan Brownmillers Klassiker „Gegen unseren Willen“ zurück (amerikanische Ausgabe 1975, deutsch 1978).
Das Buch untersucht das Phänomen der Vergewaltigung und kommt, kurz zusammengefasst, zu folgenden Schlüssen:
Vergewaltigung ist kein Verbrechen korrumpierter Individuen, begünstigt durch korrumpierte Verhältnisse – Vergewaltigung ist für Brownmiller eine politische Strategie, motiviert durch die Ideologie der Männlichkeit. Was wir unter Männlichkeit zu verstehen haben, ist allein durch diese „Ideologie“ (sie nennt es so) vorgegeben. Dominanz ist die wesentliche Signatur der Männlichkeit, ihre konstitutive Eigenschaft und ausschließlich destruktiv.
„Ich glaube, dass Vergewaltigung seit eh und je eine überaus wichtige Funktion innehat. Sie ist nicht mehr und nicht weniger als eine Methode bewusster systematischer Einschüchterung, durch die alle Männer alle Frauen in permanenter Angst halten“ (S.30, Kindle-Ausgabe).
Dazu möchte ich sagen: Jeder Mensch weiß, dass es Verbrecher gibt, und verhält sich weniger sorglos, als er es täte, wenn es keine Verbrecher gäbe. Dann würde niemand sein Haus abschließen, jeder sein Geld offen herumliegen lassen und unbesorgt in jedes beliebige Land reisen können. Ob man daraus schließen kann, dass ein Verbrecher es sich bewusst zum politischen Ziel macht, die gesamte Menschheit einzuschüchtern, bezweifle ich. Gewaltausbrüche entstehen unter bestimmten inneren und äußeren Bedingungen und nicht einfach so. Auch viele Tierarten „wissen“, dass sie eine beliebte Beute sind, und zeigen teils angeborene, teils erlernte Verhaltensweisen, die es ihnen ermöglichen, sich vor Beutegreifern zu schützen. So ist die Welt, nicht erlöst, sehr durchwachsen, das ist das Leben.
Es ist keine Frage, dass Frauen verletzlich sind und dass eine menschliche Gesellschaft dem Rechnung tragen muss. Es ist keine Frage, dass menschliche Gemeinschaften Gewalt jeder Art eindämmen oder befördern können und dass sie für das, was sie tun, in der Verantwortung stehen, und das haben Gesellschaften im Laufe des Zivilisationsprozesses auch in nachvollziehbarer Weise getan, wie unvollkommen auch immer. Davon zeugt zum Beispiel die Entwicklung der Rechtsprechung, die schon sehr früh Vergewaltigung unter Strafe stellt, wie unvollkommen auch immer. Immerhin gibt es Quellen, dass es Frauen schon im Mittelalter gelungen ist, sich vor den entsprechenden Instanzen erfolgreich zu wehren.
Es ist ein guter Indikator für eine menschliche Gesellschaft, ob Frauen - unter anderem – in ihr Respekt und Achtung genießen oder nicht. Gemeinschaften entwickeln Dauer und Beständigkeit nicht allein durch Gewalt, sondern auch und vor allem durch die Fähigkeit zu Kooperation und Mitgefühl. Sogar bei gesellig lebenden Tieren erkennt man das.
Brownmiller erkennt allerdings nichts dergleichen. Vergewaltigung ist für sie die maßgebliche Grundlage der Gesellschaft, die Grundlage der Ehe, der Motor der kulturellen Entwicklung schlechthin. Vergewaltigende Männer erweisen allen Männern einen Dienst, weil sie eine Art Elitetruppe darstellen.
Vergewaltigung als Grundlage für Ehe und Gemeinschaft
„Vergewaltigende Männer sind nicht Außenseiter der Gesellschaft oder »Besudeler der Reinheit«, sondern vielmehr männliche Stoßtrupps, terroristische Guerillas im längsten Krieg, den die Welt jemals gesehen hat“ (S.254).
Die Grundlagen der Misere sind körperlicher Natur.
„Es ist dem Bauplan der Geschlechtsorgane, um den man nicht herumkommt, zuzuschreiben, daß der Mann der natürliche Verfolger des Weibes war und die Frau seine natürliche Beute“ (S.31).
Mit Händen kann man würgen und schlagen und Waffen bedienen, auch Muskeln sind bei solchen Vorhaben sehr hilfreich, aber ist das ihre einzige und wichtigste natürliche Funktion? Das würde niemand behaupten, denke ich.
Die eingeschüchterten Frauen der Urzeit haben, so Brownmiller, sich dem Schutz eines einzelnen Verfolgers unterstellt, um das Risiko zu minimieren, ständig von jedem Dahergelaufenen besprungen zu werden.
„Vielleicht ist so der erste Ehevertrag entstanden. Die Angst der Frau, Freiwild der Männer zu sein, wäre dann der wirkliche Grund für ihre Unterwerfung durch den Mann, der wichtigste Schlüssel zum Verständnis ihrer historischen Abhängigkeit, ihrer Domestikation in der beschützenden Ehe, und nicht natürliche Neigung zur Monogamie, zur Mutterschaft oder Liebe“ (S.31-32). FISCHER Digital. Kindle-Version.
Liebe und Verbundenheit haben in diesem Weltbild einfach keine Chance. Sie werden aus der Menschheitserfahrung gelöscht.
„Ja, eine der frühesten Formen männlicher Gruppenbildung wird die zur gemeinsamen Vergewaltigung einer Frau gebildete Bande plündernder Männer gewesen sein. Und nachdem dies vollbracht war, wurde Vergewaltigung nicht nur ein männliches Privileg, sondern auch das entscheidende Machtinstrument des Mannes gegenüber der Frau, der Durchsetzung seines Willens und Hauptursache ihrer Furcht. Sein gewaltsames Eindringen in ihren Körper, ohne Rücksicht darauf, daß ihr ganzes Wesen sich dagegen sträubt, wurde zum Vehikel der siegreichen Unterwerfung der Frau, zum letzten Beweis seiner überlegenen Stärke, zum Triumph seiner Männlichkeit. Die Entdeckung des Mannes, daß seine Genitalien als Waffe zu gebrauchen sind, um damit Furcht und Schrecken zu verbreiten, muss neben dem Feuer und der ersten groben Steinaxt als eine der wichtigsten Entdeckungen in prähistorischer Zeit angesehen werden.“ (S. 29-30). FISCHER Digital. Kindle-Version.
Die arme Prähistorie. Ich weiß nicht, wie die Menschen damals miteinander umgegangen sind. Vergewaltigungen lassen sich nach so langer Zeit natürlich überhaupt nicht nachweisen. Ich habe davon gelesen, dass man immer mal wieder die Leichen von Menschen gefunden hat, die gewaltsam zu Tode gekommen sind (der „Ötzi“ zum Beispiel, oder dieser kleine unterernährte Junge, der erschlagen und in einer Abfallgrube entsorgt wurde), also, das Leben war damals sicher sehr rauh, davon gehe ich aus. Das genaue Ausmaß der Gewalt kennen die Prähistoriker nicht – woher sollen sie das auch wissen. Ich habe die KI befragt, Chat Gpt, und folgende Antwort erhalten, die mir plausibel vorkommt:
“Prähistorische Menschen waren wahrscheinlich weder durchgehend friedlich noch extrem gewalttätig. Gewalt trat vermutlich in bestimmten Kontexten auf, etwa bei Ressourcenkonflikten oder territorialen Auseinandersetzungen. Gleichzeitig gibt es Hinweise auf kooperative Strukturen innerhalb von Gruppen, die für das Überleben entscheidend waren. Die prähistorische Gesellschaft war also durch ein Gleichgewicht von Konflikt und Zusammenarbeit geprägt.”
Gewalt tritt in Kontexten auf. Das würde ich mir mal merken. Sie entlädt sich nicht einfach so. Wäre ich Gewaltforscherin, würde ich mir durchaus erlauben, geschlechtsspezifische Fragestellungen aufzuwerfen, aber ich denke, das kann man tun, ohne Männlichkeit per se zu diffamieren oder weibliche Gewalttätigkeit auszublenden etc. In Bezug auf die Prähistorie hat man mit geschlechtsspezifischen Fragestellungen allerdings kaum Chancen, harte Belege zu finden.
Brownmiller ist sich dennoch sicher: Vergewaltiger führen uns zum Kern der Wirklichkeit, ihr Tun erzählt uns die Wahrheit über diese Kultur. Dabei ist ihr nicht entgangen, dass auch Männer und Jungen Opfer von Vergewaltigern werden. Aber männliche Opfer sind für die ideologische Stärkung aller Männern wesentlich weniger geeignet als männliche und als weibliche und haben deswegen weniger kulturelle Bedeutung. Warum bringt es ein Massenmörder wie Dean Arnold Corll, der mindestens 28 Jungen und junge Männer grausam gefoltert und getötet hat zu weniger Nachruhm als Jack the Ripper zum Beispiel? Nicht etwa deswegen, weil männliche Opfer schneller vergessen werden, sondern weil Jack the Ripper einfach das geeignetere Identifikationsmodell für Männer ist, sagt Brownmiller. Jeder Mann kann sich in ihn hineinversetzen und sich dabei in seiner Phantasie dem Vergnügen hingeben, seinerseits Frauen zu morden und in Panik zu versetzen, ohne die störende Furcht, dass er selbst zum Opfer werden könnte:
„Welcher heterosexuelle Mann mit reicher, vorstellungskräftiger gesellschaftlich akzeptierter Phantasie könnte sich gefahrlos mit Corll identifizieren, ohne auf dem Höhepunkt seiner Phantasie ins Schwimmen zu geraten und für einen grauenvollen Augenblick in die Rolle des nackten, zuckenden und wimmernden Knaben zu fallen, der mit Händen und Füßen an ein selbstgefertigtes hölzernes Folterwerkzeug gefesselt ist?“ (S.309-310).
Um gerecht zu bleiben: Brownmiller erwähnt in ihrem Buch auch vereinzelt Männer, die Frauen vor Vergewaltigung beschützt haben. Das ändert aber nichts an ihrer Grundthese, dass wir die Entstehung und Stabilisierung der menschlichen Kultur gewalttätigen Sexmonstern zu verdanken haben.
Diese Grundthese läuft auf eine totale Dehumanisierung von Männern hinaus, sie leugnet alle Formen und Möglichkeiten friedlichen Miteinanders und Kooperation zwischen den Geschlechtern. Was ist daran menschenfreundlich oder auch nur frauenfreundlich? Was ist daran stärkend für Frauen? Gar nichts, finde ich.
Diese masochistischen feministischen Phantasiewelten schwächen Frauen immens. Denn eine Chance auf Glück gibt es für Frauen in diesem dunklen Weltbild eigentlich nicht. Diese Hoffnungen müssen wir auf ein fernes Utopia verlagern:
„Vergewaltigung kann beseitigt, nicht nur kontrolliert oder auf individueller Basis verhindert werden. Doch es ist eine Arbeit auf lange Sicht, sie erfordert Kooperation und Verständnis und guten Willen von vielen Männern und Frauen. Es ist meine Absicht gewesen, mit diesem Buch der Vergewaltigung ihre Geschichte und Vergangenheit zu geben. Jetzt müssen wir ihr die Zukunft verweigern“ (S.464). FISCHER Digital. Kindle-Version.
Sind wir Raub und Mord dann auch endgültig los? Ich fürchte, das wird nicht funktionieren, Utopia wird nicht kommen. Es wird uns nicht mal gelingen, Menschlichkeit wenigstens zu befördern, wenn wir Männer konsequent dämonisieren und in die Selbstverachtung treiben und Frauen in der Opferposition festnageln. So befördert man kein kreatives Weltverhältnis, so zerstört man es. Besonders schädlich ist so ein Weltbild für Frauen, die tatsächlich zum Opfer geworden sind, denn es treibt sie tiefer in die Verzweiflung, erzeugt Wut und Hass und vor allem Angst, die kein Ende nehmen, keine Beruhigung finden kann. Hinzu kommt, dass Frauen erstens den Männern und zweitens ihrer Kultur durch dieses Denken vollkommen entfremdet werden, was ebenfalls sehr schwächend und destabilisierend wirkt.
Ganz aus der Luft gegriffen sind Brownmillers Thesen nicht
Übrigens halte ich Kritik an männlicher Dominanz durchaus für legitim und notwendig. Es gibt Misogynie und Gewalt gegen Frauen in Geschichte und Gegenwart, wesentlich mehr als ich vertragen kann, und der Feminismus reagiert darauf. Zu Brownmillers Entlastung muss man auch sagen, dass die Quellen, die sie in reicher Zahl zitiert und nicht erfindet, tatsächlich eine Art Höllenritt darstellen.
Und für ihre These, dass Vergewaltigung die Grundlage der Kultur darstellt, wie wir sie kennen, kann sie sich auf die männliche Mythenbildung berufen („Der Raub der Sabinerinnen“ zum Beispiel).
Dschingis Khan
Es gibt Mythen und auch reale Ereignisse, die belegen, dass Eroberer Frauen im Krieg geraubt und sich ihren Gemeinschaften einverleibt haben. Über Dschingis Khan habe ich zum Beispiel in der WELT gelesen, dass er einmal die Söhne eines anderen Khans gefragt haben soll, was die höchste Lust des Mannes sei. Und was antworten diese Milchbubis? „Die Jagd und besonders die Jagd mit Falken.“ Worauf Dschingis Khan erwidert:
„Wie ihr irrt. Die höchste Lust für den Mann ist es, Verschwörer zu strafen, Feinde zu besiegen, sie mit der Wurzel auszurotten und sich all dessen zu bemächtigen, was sie besitzen; ihre Weiber zum Schluchzen und Weinen zu bringen, dass ihnen die Tränen über Wangen und Nase laufen: ihre Pferde zu reiten, die Leiber ihrer lieblichen Gemahlinnen zu Schlafkissen und Ruhepolstern zu machen.“
Wir wissen leider nicht, wie die Jungs darauf reagiert haben, aber wir lernen, dass Männer ziemlich unterschiedlich sind und dass man, will man sie zu knallharten Gewalttätern erziehen, entsprechende Maßnahmen ergreifen muss. Ganz von alleine funktioniert das offensichtlich nicht. Keineswegs reicht es aus, dass ein Mensch einen Penis hat.
Krieg entfesselt generell destruktive Verhaltensweisen. Ich sehe keinen Grund, diese zu generalisieren. Dennoch werde auch ich oft zornig, wenn ich lese, was Männer alles so angerichtet haben. Ich kann den weiblichen Hass und die weibliche Wut gut verstehen, ähnliche Gefühle kochen auch in mir oft hoch. Ich anerkenne, dass der Feminismus auf real existierende Missstände reagiert und ohne diese Missstände nicht denkbar wäre und auch niemals anschlussfähig geworden wäre: Er enthält Wahrheit.
Trotzdem darf man keine Mythen in die Welt setzen, die sich nicht belegen lassen. Brownmillers These von der grundlegenden kulturkonstitutiven Funktion der Vergewaltigung lässt sich nicht belegen. Es ist reine Ideologie, und die schadet den Opfern mehr als den Tätern.
Denn das Wichtigste, was ein traumatisierter Mensch lernen muss, ist, nicht zu generalisieren, offen zu bleiben für die Vielfalt menschlicher Erfahrung. Generalisierung, Systematisierung Essentialisierung von Strukturen aber sind der Motor des feministischen Denkens, wie jedes Denkens, das das im Kopf entstandene Gedankengebäude – das „System“ - vergötzt und vergöttert und mit der Wirklichkeit verwechselt. Die Welt ist viel zu vielfältig, um in ein enges ideologisches Weltbild zu passen.
Zum Glück liefert uns unsere Kultur viele schöne Geschichten. Hat Jesus etwa eine Frau vergewaltigt? Nein, er hat Frauen geholfen. Robin Hood und Ritter Lancelet, die Helden meiner Kindheit, übrigens auch. Robin Hood war der Beschützer der Witwen und Waisen, und Ritter Lancelet hat ununterbrochen bedrohte Jungfrauen befreit und ist, wenn er sich von den Strapazen erholen wollte, bevorzugt unter Apfelbäumen eingeschlafen. Dann ist eine Fee vorbeigekommen und hat ihn in ein goldenes Zelt getragen. Dort ist er aufgewacht und sie haben Karten gespielt, nein, natürlich nicht, man kann sichs ja denken, was sie gemacht haben, aber Lancelet hat es gefallen. Feministische Theorie erzeugt nur Dunkelheit oder sucht verlogene Auswege an den falschen Stellen, unter dem regenbogenfarbigen Trans-Umbrella zum Beispiel. Das sollte alles mal gründlich durchdacht werden. Das ist nicht richtig.
Gebrochene Menschen brechen andere
Es gibt ein Prinzip, das man oft beobachten kann: Gebrochene Menschen brechen andere. Und dieses Prinzip, das auch Frauen nicht fremd ist, gilt es zu durchkreuzen. Es ist nicht akzeptabel, dass der Feminismus mit seiner speziellen Art der Komplexitätsreduktion Männer in die Selbstverachtung treibt und sie zu schwächen und zu brechen versucht. Denn Männer wollen und wünschen sich auch, das sie ihre Stärken zum Nutzen der Menschen einsetzen können, und sie haben das wieder und wieder getan.
Es ist auch nicht akzeptabel, dass der Feminismus die Frauen beschädigt, indem er ihnen jede kulturelle Bedeutung abspricht, sie zu Beutestücken degradiert und ihnen Angst macht, eine Angst, die man nicht bewältigen kann, solange man die ideologische Brille auf der Nase hat, eine Angst, die ihrerseits Zerstörungen anrichtet, sobald sie in wirkmächtige Ideologiebildung einfließt. Jedes Opfer hat lebenslang eine Art Nacht in sich, etwas Dunkles, und das Denken sollte es diesem Dunkel nicht ausliefern, sondern ihm helfen, es zu erhellen. Andernfalls ist es ein böses Denken.